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von Christian Köhl
veröffentlicht am 28.12.2016

Diese Liedzeile aus „Dickes B“ von Seeed kommt mir in den Sinn, wenn ich an Medizin 4.0 denke, mein persönliches (Un)Wort des Jahres 2016.

Um bei Metaphern aus der Musikbranche zu bleiben: Der Begriff Medizin 4.0 wurde dieses Jahr so inflationär „gespielt“ wie „Last Christmas“ in der Weihnachtszeit. Und da liegt ein großes Problem: Medizin 4.0, gerne auch in Kombination mit Digitalisierung, läuft Gefahr, zum bloßen Buzz-Word zu verkommen. Beide Begriffe sind in aller Munde und werden auf Kongressen, Messen und IT-Branchentreffs breit diskutiert, allein es hapert bei der Umsetzung.

In puncto Digitalisierung hat die Gesundheitsbranche erst wenig erreicht und hinkt anderen Industrien deutlich hinterher. Das bestätigen auch die Ergebnisse einer Umfrage unter 60 Meinungsführern im Rahmen der Health-i Initiative von Techniker Krankenkasse und Handelsblatt (nachzulesen hier). Das muss sich dringend ändern: IT-Infrastruktur und Vernetzung müssen auf den Stand der Technik gebracht werden.

Dazu bedarf es einerseits Investitionen in eine funktionierende IT-Infrastruktur. Krankenhausbetreiber müssen aufhören, auf den richtigen Moment zu warten, denn den wird es nicht geben. Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt, die Digitalisierung des eigenen Hauses anzupacken. Es bringt nichts, Investitionen in die IT hinauszuzögern in der Hoffnung, die Zukunft birgt günstigere Chancen als jetzt. Fakt ist: Je länger gewartet wird, desto schwieriger wird es, die Riesenlücke in der Digitalisierung wieder aufzuholen.

Ich erwarte aber auch mehr und vor allem gezieltere Maßnahmen aus der Politik. Staatliche Rahmenbedingungen müssen eine schnellere Umsetzung neuer Verfahren/Anwendungen ermöglichen, aber auch alle im Gesundheitswesen tätigen Interessengruppen ins Boot holen, z. B. durch neue Vergütungssysteme, die den neuen digitalen Prozessen Rechnung tragen.

Und letztlich muss sich auch die Einstellung zum Thema ändern. Sind wir sonst das Land der Dichter und Denker, scheint mir im Gesundheitswesen das Land der Zögerer und Zauderer passender. Probleme und Risiken zu diskutieren ist richtig und wichtig. Aber bitte nicht doppelt und dreifach, zehnmal gewendet und zwanzigmal durchleuchtet – bis die Chance vertan ist.

Ein gutes Beispiel ist der Datenschutz. Wieviel wird zu Datenschutzrichtlinien diskutiert, wenn es z. B. um die digitale Patientenakte geht. Dass derzeit aber Befunde oder Medikationslisten ausgedruckt oder noch per Fax übermittelt werden, einem eher unsicheren Medium, findet kaum Beachtung. Oder ein noch gewagteres Gedankenspiel: Gehen Sie doch mal in ein Krankenhaus und versuchen Sie, eine der Akten mitzunehmen, die auf Countern, Rollwägen, unbesetzten Stationsstützpunkten oder am Patientenbett liegen. Dazu brauchen Sie nicht einmal technische Fähigkeiten.

Dass von einer Digitalisierung im Gesundheitswesen sowohl Patienten als auch Krankenhäuser profitieren, ist unbestritten, das zeigt die Umfrage der TK und Handelsblatt auch. Jetzt gilt es, die richtigen Entwicklungen zu ermöglichen und voranzutreiben. Konkret sehe ich folgende Entwicklungen als Schritte in die richtige Richtung; meine Top 3 für 2017:

Top 1

Klinische Algorithmen und standardisierter, klinischer Content als nächste Schritte hin zu einer patientenzentrierten Versorgung. Qualitätsindikatoren aus der IT können eine enorme Unterstützung liefern, dazu muss die IT aber noch klinischer und entscheidungsunterstützender werden.

Top 2

Das Entlassmanagement, das ab Mitte 2017 gesetzlich verpflichtend ist, und im nächsten Schritt die bestmögliche „Transition of Care“ sehe ich neben eHealth-Gesetzgebungsinitiativen als weiteren wichtigen Baustein, um Sektorengrenzen zum Wohle einer ganzheitlichen Patientenversorgung aufzuhebeln.

Top 3

Die zunehmende Verbreitung von Health-Wearables, Apps und HomeCare-Geräten muss als Chance begriffen werden. Die Integration dieser Datenquellen kann die Entwicklung zu einer ganzheitlichen Versorgungsqualität indikationsgesteuerter Patientenkohorten vorantreiben.

Wir müssen 2017 endlich anfangen, die Hürden zu überwinden, die Medizin 4.0 und Digitalisierung ausbremsen. Die Aufwärmphase ist vorbei. Oder frei nach Seeed: „Das wird unser Jahr, Baby, wenn wir aufdrehn!“