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von Cerner Corporation
veröffentlicht am 20.10.2020

Wie IT die Grundlage für eine immer spezialisiertere, interdisziplinäre Patientenversorgung schafft

Haben Sie im Krankenhaus schon einmal auf der Station mit einem Apotheker gesprochen? Wohl kaum. Denn bislang ist es – im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Raum – in Deutschland noch selten, dass Krankenhausapotheker direkten Patientenkontakt haben. Außer, man befindet sich im Klinikum Region Hannover (KRH). Dort ist man seit einigen Jahren dazu übergegangen, Apotheker stärker in die ambulante und stationäre Versorgung einzubinden.

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Ärzte entlasten – Versorgungsqualität steigern

Sarah Merten ist Fachapothekerin für klinische Pharmazie und eine der 15 Stationsapotheker (davon 10 Vollzeitkräfte), die am KRH mittlerweile selbstverständlich sind. Sie erzählt, wie es dazu kam: „Die Qualität der Patientenversorgung hat im KRH von jeher einen sehr hohen Stellenwert. Deswegen überprüfen wir auch immer wieder sehr selbstkritisch, was wir verbessern können. Medikationsfehler sind ein Thema, über das keiner gerne spricht. Aber – das zeigen auch die Studien zu dem Thema – sie passieren leider und so wurden seitens der Krankenhausleitung Überlegungen angestellt, wie man hier zu einer Verbesserung der Situation kommen könnte. Neben der Patientensicherheit spielen auch Kostenfaktoren eine Rolle: Es fiel auf, dass bei der Umstellung von der Vormedikation auf Krankenhausmedikation immer wieder unnötige Sonderanforderungen ausgelöst wurden. Gerade Kombinationspräparate erwiesen sich in dieser Hinsicht als problematisch. Wir wollten unsere Ärzte einerseits entlasten und ihnen andererseits die Möglichkeit geben, spezifische Fachkompetenz im Bereich Medikation einfach und schnell in Anspruch nehmen zu können.“

Gemeinsame Visite von Arzt und Apotheker zur Verbesserung der Patientenversorgung

Im Jahr 2013 startete das Projekt „Stationsapotheker“ zunächst im KRH Klinikum Neustadt am Rübenberge, einem von zehn Häusern des Unternehmens. Im darauffolgenden Jahr traten die ersten Stationsapotheker im Klinikum Robert Koch Gehrden, einem weiteren Standort der KRH, ihren Dienst an. Zunächst unterstützten sie das ärztliche Personal vor allem bei der Arzneimittelanamnese von elektiven Patienten und bei der Umstellung von ihrer Haus- auf Krankenhausmedikation. Zudem wurde die Medikation hinsichtlich Plausibilität und Wechselwirkungen geprüft und Hinweise zum perioperativen Management gegeben. Bald jedoch begleiteten sie auch Visiten. „Nicht jeder Arzt konnte sofort etwas mit einem Apotheker auf Station anfangen. Vor allem die jungen Stationsärzte und auch die Ober- und Chefärzte wissen unsere Zusammenarbeit mittlerweile allerdings durchweg zu schätzen“, bestätigt Sarah Merten. „Gerade bei den Visiten zeigt sich der Wert eines interdisziplinären Teams: Der Patient berichtet seine Sicht der Dinge, wie subjektive Wirkung oder Nebenwirkungen, der Arzt kann bei der Therapieplanung auf das Wissen des Apothekers zurückgreifen und gemeinsam wird dann die bestmögliche Therapie beschlossen.“

Vom Pilotprojekt zum flächendeckenden Service

Das Pilotprojekt im KRH Klinikum Neustadt am Rübenberge war so erfolgreich, dass das Modell im Laufe der folgenden Jahre auf alle zehn Häuser des KRH ausgerollt wurde, wie Sarah Merten zusammenfasst: „Wir haben unser Angebot im Laufe der Zeit erweitert. Zusammen mit den jeweiligen Chefärzten wird entschieden, welcher Service für die Patienten der jeweiligen Fachrichtung am sinnvollsten ist. Bei den chirurgischen Fächern ist meist eine Arzneimittelanamnese am effektivsten, bei internistischen Patienten hat sich beispielsweise eine Visitenbegleitung oder eine Kurvenvisite bewährt.“

Durchgehende Digitalisierung als Unterstützung für effizientes Arbeiten

Seit April 2019 arbeitet das KRH Klinikum Siloah als erstes Haus Unternehmens auf allen Stationen, mit Ausnahme der Intensivstationen, mit der elektronischen Patientenakte. Seitdem ist dort ein Team von drei Stationsapothekerinnen tätig. Hier wird deutlich, dass durch die umfassende Digitalisierung viele Prozesse und Abläufe vereinfacht bzw. erst ermöglicht werden. Dr. Christian Herrmann ist Arzt und Abteilungsleiter Geschäftsprozessoptimierung im Zentralbereich Informationstechnologie am KRH und erläutert die Zusammenhänge: „Jeder ältere Arzt kennt das Problem mit unleserlichen Papierakten, die nicht da sind, wenn man sie braucht, weil der Kollege sie gerade hat, der Patient mit ihr bei einer Untersuchung ist, oder sie sich bei der Pflege zur Übergabe befindet. Mit einer elektronischen Akte haben alle Beteiligten zu jeder Zeit Zugriff auf die Patientendaten. Ein weiterer Punkt ist die Koordination: IT-Lösungen ermöglichen auch bei komplexen Abläufen eine bessere Abstimmung und transparentere Prozesse. In Hinblick auf die Arbeit unserer Stationsapotheker kommt noch hinzu, dass es mit IT möglich ist, beispielsweise nach Risikopatienten aufgrund bestimmter Vorgaben gezielt zu filtern. Das erleichtert die Arbeit und erhöht auch die Patientensicherheit.“

IT alleine kann einen Apotheker nicht ersetzen

Auf IT-Lösungen alleine möchten sich im Medikationsbereich trotz allem weder der Arzt Dr. Herrmann noch die Fachapothekerin Sarah Merten verlassen. „Die existenten Lösungen haben alle irgendwo noch ihre Lücken“, erläutert die Pharmazeutin. „Zum Beispiel kommt das vorhandene Switchmodul, eine IT Lösung zur Unterstützung bei der Umsetzung der Hausmedikation auf die Klinikmedikation, gerade bei Kombinationspräparaten oder nicht gelisteten Präparaten an seine Grenzen. Und auch die hinter solchen Systemen stehende künstliche Intelligenz ist noch nicht ausgereift. Die Arzneimittelprüfung durch einen Interaktionscheck ist sicher eine tolle Sache und gibt dem Nutzer Hinweise auf potenzielle Interaktionen. Allerdings werden nicht alle verordneten Arzneimittel in die Prüfung mit einbezogen. Letztlich muss immer noch ein Mensch für jeden Patienten individuell entscheiden, welche der erkannten Neben- und Wechselwirkungen im Einzelfall noch akzeptabel sind und welche nicht. Die Entwicklung der hinterlegten Intelligenz ist hier einfach noch nicht fortgeschritten genug. Deswegen führt an – im wahrsten Sinne des Wortes – humaner Intelligenz nie ein Weg vorbei.“

Stationsapotheker und IT – höhere Versorgungsqualität und mehr Transparenz

Die digitale Infrastruktur wird von den Apothekern intensiv genutzt und immer weiter verfeinert. Dr. Christian Herrmann nennt Beispiele: „Das fängt an bei ganz einfachen Standardfunktionen, wie zum Beispiel einer Markierung in der Patientenakte, dass der Patient vom Apotheker schon gesehen wurde und geht bis zu Funktionen, die Risikopatienten ausfiltern, die man noch einmal intensiver beobachten sollte.“ Sarah Merten ergänzt: „Zum Filtern nutzen wir Daten aus der elektronischen Patientenakte, wie z.B. Laborwerte, interagierende Medikamente etc., denen wir unterschiedlich hohe Punktzahlen zugeordnet haben. So haben wir die Möglichkeit Patienten mit einem hohen Score zu filtern, da wir uns aufgrund der hohen Patientenzahl nicht jeden Patienten anschauen können. Ohne eine volle Digitalisierung wäre ein solches Vorgehen nicht möglich. So ist es eine einfache Routinefunktion, die aber die Patientensicherheit deutlich erhöht. Des Weiteren sehen wir uns täglich die Aufnahmen vom Vortag an und schauen diese auf mögliche Sonderanforderungen durch. So wird die Patientenversorgung verbessert und beschleunigt, unnötige Sonderanforderungen vermieden und somit Kosten gesenkt.“ Ein klares Bekenntnis also nicht nur zum System der Stationsapotheker, sondern auch zum flächendeckenden Einsatz von IT, wie Dr. Herrmann erläutert: „Im Moment sind unsere Stationsapotheker noch gut damit beschäftigt, neben der Visitenbegleitung auch die Stammdaten des Arzneimittelkatalogs zu pflegen, sowie Standards zu erarbeiten und zu hinterlegen, die die Verordnung erleichtern. Je nach Abteilung macht es Sinn, für Routinefälle bestimmte Verordnungsvorlagen zur Verfügung zu stellen – beispielsweise eine postoperative Schmerzmedikation. Solche Vorlagen zu erstellen kostet natürlich erst einmal Arbeit. Aber das ist Standard bei der Umstellung auf IT-Lösungen und macht sich später im Routinebetrieb bezahlt.“

Auch finanziell macht sich der Einsatz von Stationsapothekern bezahlt

Bleibt die Frage der Finanzierung. Denn die zusätzlich benötigten Apotheker wollen auch bezahlt werden. Doch auch hier gibt Sarah Merten Entwarnung: „Die Auswertung der Daten aus den letzten Jahren zeigt, dass der Einsatz von Stationsapothekern nicht nur die Patientensicherheit erhöht, sondern als Nebeneffekt auch die Arzneimittelkosten senkt. Wir sehen neben weniger Sonderanforderungen vor allem auch einen Rückgang der Arzneimittelkosten insgesamt aufgrund der optimierten Therapie. Der Schritt zum Stationsapotheker nützt also nicht nur dem Patienten, sondern senkt unter dem Strich dem Krankenhaus auch noch Kosten.“ Die Vorteile des Einsatzes von Apothekern in der Patientenversorgung sind also vielfältig. Das hat auch die Politik erkannt: Ab dem 1.1.2022 ist der Einsatz von Stationsapothekern und somit z.B. die Prüfung der Medikation der Patienten kurz nach Aufnahme durch sie in Niedersachsen Pflicht. Das KRH ist seiner Zeit hier also deutlich voraus und zeigt, dass das Durchbrechen alter Strukturen die Kosten bei verbesserter Behandlungsqualität senken kann. Vor allem aber demonstriert es, dass ein flächendeckender Einsatz von IT und generische Daten eine Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit in einer immer komplexer werdenden Patientenversorgung sind.

Foto: ©KRH Klinikum Region Hannover