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von Norbert Neumann
veröffentlicht am 15.01.2018

Der pragmatische Weg zu mehr Digitalisierung

In unserer Serie „Auf dem Weg zum digitalen Krankenhaus“ beschreiben wir diesmal den Weg der Kliniken Region Hannover (KRH) ins digitale Zeitalter. Im ersten Teil lasen Sie, wie trotz finanziellen Defizits und eines herben Rückschlags kurz vor Eröffnung eines Neubaus am KRH die Weichen in Richtung Digitalisierung gestellt wurden. Haben Sie den ersten Teil verpasst? Lesen Sie hier nach.

Im zweiten Teil erfahren Sie mehr über die Erfahrungen, die im KRH bei Strukturierung und Ausbau der IT-Infrastruktur gemacht wurden und welche Ideen man dort für die Zukunft hat.

Lesedauer des gesamten Beitrags ca. 5 Minuten. Lieber später in Ruhe lesen? Laden Sie HIER die PDF-Version herunter.


EMRAM oder nicht EMRAM – das ist keine Frage

Die Digitalisierung im Klinikum Region Hannover (KRH) mit seinen 10 Standorten ist bislang ein eher evolutionärer Prozess gewesen. Dr. Volker Hüsken, Zentralbereichsleiter IT am Klinikum, fasst zusammen, warum: „Nach dem Zusammenschluss der städtischen Kliniken und der Kreiskrankenhäuser zum KRH stand erst einmal die Konsolidierung und die Neuordnung der Organisationsstrukturen im Vordergrund. Wir haben damals die Möglichkeit genutzt, über den gesamten Verbund als einheitliches KIS i.s.h.med® zu etablieren.

Aber aufgrund der sich über Jahre hinziehenden Veränderungen und Neubauprojekte ergaben sich andere Prioritäten, weswegen wir uns auf die Grundlagen und lokale IT-Projekte beschränkt haben.“

Der pragmatische Weg zu mehr Digitalisierung

Die Ziele waren einerseits eine möglichst schlanke, einheitliche IT-Infrastruktur und andererseits eine möglichst weitreichende Digitalisierung von papiergestützten Prozessen oder Dokumentationen. „Die Subsysteme auf ein Minimum zu reduzieren war relativ einfach: Wir hatten nach der Gründung des KRH die Kreiskliniken auf das in den städtischen Kliniken bereits seit 1997 etablierte KIS i.s.h.med aufgeschaltet und so viele zusätzliche Systeme abschalten können. Den Rest haben wir dann soweit wie möglich sukzessive in i.s.h.med abgebildet, bis auf ein paar sehr spezielle Lösungen“, erläutert Volker Hüsken. Bei der Digitalisierung – dem zweiten Ziel – gingen der Informatiker und seine rund 45 Mitarbeiter mitunter recht pragmatisch vor: „Wir haben einfach geschaut, wo viel gedruckt wird und uns diese Bereiche gezielt angesehen. So haben wir mit wenig Aufwand punktuell eine Umstellung von Papier auf digitale Dokumentation vornehmen können und den Digitalisierungsgrad im KRH kontinuierlich vorangetrieben.“

Trotz aller Bemühungen muss der Bereichsleiter zugeben, dass immer noch viel Papier im KRH genutzt wird: „Wir sind leider noch nicht so weit, wie wir gerne wären. Das liegt daran, dass bisher andere Projekte wie dringend notwendige Neubauten, Ausweitung des medizinischen Spektrums und die damit einhergehenden organisatorischen Umstellungen im Vordergrund standen. Allerdings sind wir gerade dabei, ein IT-Board zu etablieren, das den Auftrag hat, Projekte zur flächendeckenden Digitalisierung zu planen, die in den kommenden drei Jahren umgesetzt werden sollen.“ Dabei kann die Arbeitsgruppe auch auf Erfahrungen aus Einzelprojekten zurückgreifen, die in den letzten Jahren in verschiedenen Abteilungen umgesetzt wurden. „Sie müssen die Menschen begeistern und das schaffen Sie am besten, indem Sie Leuchttürme setzen und damit zeigen, dass sich die Anstrengungen lohnen.“

Leuchtturmprojekte als Anreiz

Diese Leuchtturmprojekte wurden in Bereichen mit IT- affinem Personal umgesetzt, das Spaß an Innovationen hat. „In jedem Krankenhaus oder Unternehmen finden sich solche Menschen“, weiß Volker Hüsken aus Erfahrung. „Man muss sie nur finden und fördern.“ Dabei ist aus seiner Sicht vor allem wichtig, dass Projekte von den Beteiligten als eine Win-win-Situation empfunden werden: Während die IT-Abteilung neue Projekte umsetzen und Erfahrungen sammeln kann, werden die Mitarbeiter der Bereiche durch eine besonders engmaschige Betreuung und hochmoderne Ausstattung belohnt. „Da werden die nagelneuen Monitore oder die neuen schnelleren Rechner eben zuerst auf den Abteilungen eingeführt, die auch die Mühe auf sich nehmen, Pilotabteilung zu sein“, schmunzelt Dr. Hüsken.

Volker Hüsken

Dr. Volker Hüsken
Leitung Informationstechnologie am Klinikum Region Hannover GmbH (KRH)

 Doch trotz aller Einschränkungen und Ressourcenengpässe: Planlos war und ist das Vorgehen der IT-Fachleute nicht. Und auch hier fand das Team um Dr. Hüsken einen pragmatischen Weg, um ohne aufwendige Planungen zielgerichtet zu arbeiten: „Wir orientieren uns am amerikanischen EMRAM¹-Modell“, erklärt der IT-Bereichsleiter, um gleich fortzufahren: „Auch, wenn uns bewusst ist, dass wir das nicht eins zu eins umsetzen können, weil einzelne Stufen wie z. B. die Medikation in den USA einen ganz anderen Stellenwert einnehmen und auch die Prozesse andere sind.“ Aber trotz aller Einschränkungen sieht der IT- Fachmann EMRAM als gute Orientierungsmöglichkeit, um auch mit wenig Ressourcen die Digitalisierung im KRH gezielt voranzutreiben. „In drei Jahren wollen wir insgesamt auf Stage 5 sein“, erklärt er. Die Orientierung an dem amerikanischen Modell sieht er aus verschiedenen Gründen als sinnvoll an: „Für uns ist EMRAM eine Art Inspirationsquelle, die uns zumindest einen groben Rahmen vorgibt. Es hilft uns, in etwa einzuordnen, wie weit wir in verschiedenen Bereichen sind und wo wir noch Nachholbedarf haben. Wir nutzen es aber auch als Argumentationshilfe. Denn – und das ist völlig unabhängig davon, wo das Modell genutzt wird – es zeigt eindeutig auf, dass mit einer fortschreitenden Digitalisierung auch mehr IT-Mitarbeiter benötigt werden. Das klingt zwar banal, aber nachdem gute IT-Fachleute auch ein Kostenfaktor sind, braucht man gegenüber einer Geschäftsführung gute Argumente, wenn man neue Fachleute in diesem Bereich einstellen möchte.“

Gut ausgebildetes IT-Personal als Grundlage für weitere Veränderungen

Es ist zu vermuten, dass mit der jetzt angedachten Offensive zur Digitalisierung im KRH auch Dr. Hüsken in absehbarer Zeit derartige Diskussionen mit der Krankenhausleitung führen darf. Auch wenn er bereits ein Team aus hochkarätigen Fachleuten um sich versammelt hat: „Wir programmieren sehr viele Anwendungen in i.s.h.med selbst. Zum Beispiel die Dokumentationen diabetischer Füße oder Dekubitalgeschwüre mithilfe von iPods. Die entsprechenden Mitarbeiter sind hochqualifiziert im Bereich der SAP®- Programmierung und dementsprechend begehrt auf dem Arbeitsmarkt. Da sind ein gutes Arbeitsklima und eine hohe Zufriedenheit der Mitarbeiter wichtig.“ Das ist auch relevant, um Erfahrungen zu sammeln und teure Fehlentwicklungen zu vermeiden. „Das ist ein wesentlicher Nutzen unserer Leuchtturmprojekte: Erfahrungen in der Praxis zu sammeln. Wir haben zum Beispiel auf einer Pilotstation bereits mit der mobilen ePA experimentiert. Dabei haben wir festgestellt, dass eigentlich nur die Chef- und Oberärzte intensiv mit der in den Funktionen naturgemäß etwas eingeschränkten mobilen Akte arbeiten, weil sie selber sehr viel unterwegs sind. Die Assistenzärzte nutzen wesentlich lieber ‚SAP auf Rädern’, wie wir es nennen: die Visitenwagen auf unseren Stationen. Deswegen achten wir verstärkt auf die Anwendungsfälle. Auch die mobile Visite mit iPods hat sich gegen die Visitenwagen mit den großen Monitoren und der Tastatur bei uns nicht durchgesetzt. Das sind alles wichtige Lerneffekte und Argumentationen, wenn es darum geht, flächendeckende, große Projekte zu planen und umzusetzen.“

Nach der Konsolidierung: Projekte über die Krankenhausgrenzen hinaus

Und große Projekte stehen in der Tat an. Nicht nur im Bereich der Digitalisierung und des geplanten IT-Boards, sondern auch weit über die Grenzen des Krankenhausverbunds hinaus. In der Metropolregion Hannover soll eine generelle, IHE-konforme Kommunikationsplattform für alle Gesundheitsdienstleister geschaffen werden. Ein entsprechender Förderantrag wurde bereits gestellt und das Konzept ist in Arbeit. „Das ist ein sehr interessantes, zukunftsorientiertes Projekt“, so Volker Hüsken. „Ich hoffe, dass der Förderantrag positiv beschieden wird. Unser aktueller Digitalisierungsgrad ist auf jeden Fall schon ausreichend, um an einem derartigen Netzwerk teilzunehmen. Unsere Lücken sind durchwegs noch im internen Bereich, vor allem im Bereich der flächendeckenden Einführung der elektronischen Kurve. Aber ich denke, dass der Aufbau einer flächendeckenden digitalen Kommunikationsstruktur in der Metropolregion unseren internen Digitalisierungsprojekten noch mehr Gewicht verleiht, weil Medienbrüche in einem solchen Umfeld noch mehr auffallen. Das ist ungefähr so, wie wenn Sie mit einem Kleinwagen auf einer Formel-Eins-Strecke unterwegs sind.“

Dass es gelingen wird, schnell auf eine durchgehende Digitalisierungsstruktur im KRH zu kommen, daran hat Dr. Hüsken keine Zweifel. Grund für seinen Optimismus ist – wie könnte es anders sein – ein Leuchtturmprojekt. „Als 2014 der Neubau unseres KRH Klinikums Siloah bezogen wurde, haben wir die Gelegenheit genutzt,   alle IT-Konzepte neu zu entwerfen und das Siloah als komplett digitales Krankenhaus zu planen und umzusetzen. Die Erfahrungen und Konzepte aus diesem Projekt werden jetzt als eine Art Blaupause für das IT-Board dienen, das auf dieser Basis die weitere Digitalisierung der übrigen Standorte planen kann.“

Dass der Aufwand sich gelohnt hat, zeigt sich auch daran, dass wichtige Prozesse in diesem Konzept neu beschrieben wurden. Im Rahmen eines weiteren Neubauprojekts im Krankenhausverbund soll es nun weiter verfeinert werden.

Den Dialog mit den Anwendern frühzeitig und dauerhaft suchen

Ein weiterer Effekt dieses Vorgehens war die dadurch erreichte höhere Transparenz: „Man kann nicht oft genug sagen, wie wichtig es ist, die Menschen, die mit der IT schließlich arbeiten, immer wieder vom Nutzen neu eingeführter Anwendungen oder Prozesse zu überzeugen. Das macht viel Aufwand, lohnt sich aber, weil man viele Diskussionen vermeidet“, erläutert Dr. Hüsken. Deswegen gibt es am KRH bereits seit einigen Jahren sogenannte Demand-Manager. „Das sind IT-affine Mitarbeiter aus dem Pflege- oder Verwaltungsbereich, die jeweils zwei oder drei unserer Häuser betreuen und auch über eine hohe Kommunikationsstärke und einen guten Überblick über den Gesamtbetrieb verfügen. Ihre Aufgabe ist es einerseits, Ideen und Wünsche der Anwender entgegenzunehmen und uns zu kommunizieren, andererseits aber auch unsere Konzepte und Umsetzungsstrategien in den einzelnen Abteilungen zu erklären und als Ansprechpartner zu fungieren. Sie treffen sich alle zwei bis drei Wochen mit unseren IT- Mitarbeitern und tauschen sich aus. Auf diese Weise haben wir eine recht gute Verbindung zu den Anwendern aufgebaut, nehmen ihre Ideen auf und können schon frühzeitig einen Dialog starten.“

Unter dem Strich sieht Dr. Volker Hüsken trotz aller Schwierigkeiten der Vergangenheit das KRH auf einem guten Weg: „Wir sind sowohl organisatorisch als auch finanziell gut aufgestellt. Jetzt können wir unser Augenmerk auch auf größere Projekte und Investitionen in der IT richten. Ich glaube, dass uns das nochmal einen großen Schritt weiterbringt. Und sollte – was ich hoffe – das Land den Förderbescheid für eine regionale Infrastruktur befürworten, werden wir wohl Teil einer der modernsten Versorgungsstrukturen in Deutschland sein.“


Fotos: © Klinikum Region Hannover (KRH)

¹ EMRAM (Electronic Medical Record Adoption Model) ist ein Bewertungsalgorithmus, der von der Healthcare Information and Management Systems Society (HIMSS) entwickelt wurde, um den Digitalisierungsgrad eines Krankenhauses zu messen.